Anziehverfahren in der Praxis: Die beste Technik für Ihre Anwendung
Eine zuverlässige Schraubverbindung ist in allen Branchen entscheidend für die Sicherheit und Langlebigkeit von Produkten. Doch welches Anziehverfahren eignet sich am besten für spezifische Anwendungen in z.B. Automobilindustrie, Maschinenbau oder Elektrotechnik? In diesem Beitrag zeigen wir praxisnahe Beispiele für verschiedene Schraubtechniken und helfen Ihnen bei der Auswahl der optimalen Methode.
Warum das richtige Anziehverfahren den Unterschied macht
Jede Schraubverbindung muss bestimmten Belastungen standhalten. Setzerscheinungen, Reibungsschwankungen und wechselnde Umgebungsbedingungen können die Vorspannkraft beeinflussen. Eine falsche Wahl des Anziehverfahrens kann zu lockeren oder überlasteten Verbindungen führen – mit teuren Konsequenzen.
Anziehverfahren und ihre praktischen Einsatzbereiche
Das drehmomentgesteuerte Verfahren wird oft in der Serienfertigung eingesetzt, da es einfach zu implementieren und weit verbreitet ist. Dabei wird die Schraube mit einem definierten Drehmoment angezogen.
Beim Drehwinkelverfahren wird die Schraube zunächst mit einem Drehwinkelstartmoment angezogen und anschließend um einen definierten Drehwinkel weitergedreht. Dieses Verfahren sorgt für eine präzisere und wiederholbare Vorspannkraft.
Beim streckgrenzgesteuerten Anziehen wird die Schraube bis kurz vor ihre Streckgrenze belastet, um eine optimale Vorspannkraft zu erreichen.
Adaptive Methoden wie das DEPRAG Clamp Force Control (CFC) gewährleisten eine konstantere Vorspannkraft bei wechselnden Montagebedingungen. Dadurch lassen sich Montagefehler minimieren und Prozesse sicherer gestalten.
1. Drehmomentgesteuertes Anziehen: der Standard für viele Anwendungen
Vorteile:
- anwendbar bei praktisch allen Schraubfällen
- leicht messbare Steuergröße
- Kontrolle der Steuergröße auch nach der Montage noch möglich
- relativ geringer Geräteaufwand (einfache Schraubwerkzeuge)
Nachteile:
- meist große Vorspannkraftstreuung (Fehler beim Schätzen der Reibungszahlen, Streuung der Reibungszahlen, Abschaltgenauigkeit)
- Überdimensionierung der Schraube notwendig (Sicherheit)
2. Drehwinkelgesteuertes Anziehen: nutzt die Schraube maximal aus
Vorteile:
- größtmögliche Montagevorspannkraft (überelastisch)
- relativ geringe Vorspannkraftstreuung
- keine Überdimensionierung der Schraube erforderlich
- relativ geringer Geräteaufwand (einfache Schraubwerkzeuge)
- minimiert Einflüsse von Reibungsschwankungen und sorgt für höhere Prozesssicherheit.
Nachteile:
- hinreichende Gleichmaßdehnung der Schraube erforderlich
- eingeschränkte Wiederverwendbarkeit der Schraube (überelastisch)
- nachträgliche Kontrolle des Montageergebnisses nicht möglich
- Fehlmessungen möglich, z.B. bei zu harten oder weichen Schrauben
- aufwendige experimentelle Ermittlung der Montagevorschrift
3. Streckgrenzgesteuertes Anziehen: maximale Materialausnutzung im elastischen Bereich
Vorteile:
- größtmögliche Montagevorspannkraft (elastisch)
- relativ geringe Vorspannkraftstreuung
- keine Überdimensionierung der Schraube erforderlich
- zuverlässige Montage auch kurzer Schrauben
- Wiederholmontage möglich
- höchste Sicherheit und Materialeffizienz, da die Schraube ideal ausgenutzt wird.
Nachteile:
- nachträgliche Kontrolle des Montageergebnisses nicht möglich
- Fehlmessungen möglich (z.B. durch Scheiben oder weiche Dichtungen)
- sehr hoher messtechnischer Aufwand (Gesteuertes Schraubsystem notwendig)
4. DEPRAG Clamp Force Control (CFC): die intelligente Lösung für variable Bedingungen
Vorteile:
- höchste Prozesssicherheit bei sich ändernden Montagebedingungen
- Kompensation von Reibungsschwankungen
- Vermeidung von Montagefehlern durch Echtzeitüberwachung
- Wiederholmontage möglich
- ideal für anspruchsvolle Materialien und Schraubfälle
Nachteile:
- höhere Anschaffungskosten
- aufwendigere Ermittlung der Montageparameter
5. Reibwertverfahren: Kontrolle von Gewinden und Getrieben
Das Reibwertverfahren dient nicht primär zur Montage, sondern zur Prüfung von Gewinden oder zur Überprüfung der Leichtgängigkeit von Getrieben. Es misst die auftretenden Reibmomente und gibt Rückschlüsse auf die Qualität und Funktionalität der Bauteile.
Vorteile:
- Sicherstellung der geforderten Gewindequalität oder Leichtgängigkeit von Getrieben
- Früherkennung von Fertigungsfehlern
- Verbesserung der Prozessqualität
Nachteile:
- höhere Anschaffungskosten

Welches Anziehverfahren ist das richtige?
Um das für Ihren Schraubfall optimale Anziehverfahren zu ermitteln, müssen auch weitere Aspekte und Kennzahlen – wie etwa die minimale und maximale Vorspannkraft (F min und F max) – berücksichtigt werden. Aus dem Verhältnis F max / F min lässt sich der sog. Anziehfaktor errechnen, der Aufschluss über die Konstanz der Vorspannkraft sowie die Belastungsvariabilität gibt:
-
Verfahren mit niedrigem Anziehfaktor bieten im Allgemeinen eine hohe Wiederholgenauigkeit
-
Höhere Anziehfaktoren erfordern robustere (größere) Schrauben
Während streckgrenz- und drehwinkelgesteuertes Anziehen einen Anziehfaktor von ≈ 1 erreichen, liegt der Faktor beim drehmomentgesteuerten Anziehen mit Winkelüberwachung schon bei ≈ 1,5, beim drehmomentbegrenzten Anziehen sogar bei bis zu 4,0 (je nach Schraubwerkzeug).
So könnte man die Verschraubung im nachfolgenden Beispiel beim streckgrenzgesteuerten Verfahren mit einer M8-Schraube durchführen, während beim drehmomentbegrenzten Verschrauben für die gleiche Vorspannkraft eine M16-Schraube notwendig wird.
Bereits im Entwicklungsprozess sollte daher der Konstrukteur festlegen, mit welchem Anziehverfahren ein Bauteil später montiert werden soll. Dies wirkt sich unmittelbar auf die Größe der zu verwendenden Schraube aus. Besonders im Leichtbau ist es vorteilhaft, die Schraube voll auszulasten, d.h. bis zur Streckgrenze anzuziehen, sodass kleinere Schrauben (leichter und kostengünstiger) verwendet werden können. Kleinere Schrauben verringern schließlich auch die Größe der zu montierenden Bauteile und machen diese somit leichter.
Im industriellen Umfeld ist eine Beratung durch Fachleute in den meisten Fällen unerlässlich. Jeder Schraubfall stellt eine individuelle Herausforderung dar und muss konkret beurteilt werden. Für eine fachmännische Einschätzung Ihrer Schraubaufgabe stehen Ihnen unsere Experten gerne zur Seite.